Gedanken zum 9. November 2021
Liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Eltern und Erziehungsberechtige,
liebe Schulgemeinde,
in diesem Jahr findet unser Elternsprechtag an einem 9. November statt, einem Datum, das in der Geschichte dieses Landes eine große und mehrfache Bedeutung hat, die sich auch im Selbstverständnis unserer Schule niederschlägt:
Am 9. November 1848 scheiterte die sogenannte „Märzrevolution“ in den Staaten des sogenannte Deutschen Bundes, eine Revolution, die die Werte der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität der Menschen untereinander, in diesen noch nicht gendernden Zeiten als „Brüderlichkeit“ bezeichnet, gegen Unterdrückung, Zensur und Ausbeutung durchsetzen wollte.
Am 9.November 1918 rief der damalige stellvertretende SPD-Vorsitzende Gustav Scheidemann vom Balkon des Berliner Reichtages die erste deutsche Republik aus, in der die Werte und Ziele der Märzrevolution von 1848 in der ersten parlamentarischen Demokratie auf deutschem Boden allen Menschen garantiert wurden.
Am 9. November 1989 fiel die sogenannte „Berliner Mauer“, was das Ende der deutschen Teilung und des Unrechtssystems der DDR markierte, in dem Menschen in wesentlichen ihrer Grundrechte beschnitten bzw. unterdrückt wurden.
All diese Tage eines 9. Novembers markieren Stationen auf dem Weg unseres Landes zu Freiheit, Demokratie und Gleichberechtigung aller in diesem Staat lebenden Menschen. Aber all diese Wegmarken müssen betrachtet und bewertet werden im Angesicht eines weiteren 9. November, nämlich des 9. November 1938, des Tages der sogenannten „Novemberpogrom“, den die Nationalsozialisten mit dem Begriff „Reichskristallnacht“ so erfolgreich versuchten zu verharmlosen, dass auch heute dieser Euphemismus bedauerlicherweise durchaus noch gebräuchlich ist.
Am 9. November 1938 wurden jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger geschlagen, gedemütigt und ermordet. Ihre Synagogen, ihre Geschäfte und Wohnungen wurden geplündert, zerstört und in Brand gesetzt, egal ob sie ihre jüdische Religion aktiv ausübten oder ob diese nur ein Vermerk in ihren Personalakten war. Durch ihre Zugehörigkeit zum Judentum waren sie in den Augen der deutschen Nationalsozialisten und Nationalsozialistinnen und ihrer Millionen Anhänger Untermenschen ohne Rechte, ja sogar ohne Daseinsberechtigung. Der Terror dieses 9. Novembers 1938 setzte sich fort bis in die Gaskammern und die Öfen der Krematorien der Konzentrationslager, bis zu den Massenerschießungen, bis zur Ermordung von mindestens 6 Millionen jüdischer Jungen, Mädchen, Frauen und Männer egal welchen Alters in ganz Europa.
Zwar gab es Widerstand aus dem freiheitlich-demokratischen Geiste des 9. Novembers 1848 und des 9. Novembers 1918, aber er war angesichts des ungeheuren Hasses und des blinden, aber absoluten Willens zur Vernichtung jüdischen Lebens entweder zu schwach und chancenlos oder zu halbherzig.
Was hat der 9. November angesichts dieses Ereignisses bzw. dieser Ereignisse mit dem Selbstverständnis unserer Schule zu tun?
Der 9. November 1938 und alles, was aus dem Geiste geschah, der diesen Tag möglich gemacht hat, verpflichtet jede und jeden von uns, egal ob Schülerin, Schüler, Lehrerin, Lehrer, Vater oder Mutter alles in unserer Macht Stehende zu tun, damit sich so etwas weder hier in Deutschland noch sonst wo auf diesem Planeten jemals wieder ereignen kann.
Der Antisemitismus, der Hass auf und die Verachtung von Menschen mit einer jüdischen Religion hat in den letzten Jahren wieder zugenommen. Äußerungen, die Menschen jüdischen Glaubens verunglimpfen und demütigen, werden wieder öffentlich, nicht zuletzt in der Anonymität sogenannter „sozialer“ Netzwerke, geäußert und geteilt. Menschen, die sich offen zu ihrem Judentum bekennen, werden bedroht und angegriffen. Synagogen und jüdische Institutionen, auch jüdische Friedhöfe, werden geschändet und durch Vandalismus zerstört. Die Shoah bzw. der Holocaust, die Ermordung von mehr als sechs Millionen Juden zwischen 1933 und 1945, werden öffentlich relativiert oder gar geleugnet.
Unsere Schule steht für alles, was die Nationalsozialisten und Nationalsozialistinnen hassten und verachteten und was in der Tradition des 9. Novembers 1848 und 1918 steht: die Pluralität einer offenen Gesellschaft, das solidarische Zusammenleben unterschiedlicher Menschen verschiedener Nationalitäten, Ethnien, Religionen und Geschlechter, von Starken und Schwachen, Kranken und Gesunden. Dass dieses Zusammenleben nicht immer konfliktfrei gelingt, ist eine Selbstverständlichkeit. Aber wir üben uns gemeinsam darin, diese Konflikte gewaltfrei im Gespräch und vor allem im Bewusstsein gegenseitiger Wertschätzung und gegenseiteigen Respekts zu lösen, beizulegen und Kompromisse zu finden, mit denen wir alle selbstbewusst leben können. Das gelingt uns am Heinrich-Mann-Gymnasium schon gut, aber wir werden darin immer noch besser werden können.
Deshalb haben wir - nicht nur am Heinrich-Mann-Gymnasium und nicht nur an einem 9. November! - die Aufgabe, dem Antisemitismus entgegenzutreten, Akte der Diskriminierung und der Gewalt gegen jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger laut und deutlich zu verurteilen, uns solidarisch an die Seite unserer jüdischen Mitmenschen zu stellen und diejenigen in die Schranken zu weisen, die Hass und Menschenverachtung predigen und verbreiten.
Quelle
https://de.wikipedia.org/wiki/synagoge_K%C3%B6ln#/media/Datei:K%C3%B6ln_synagoge_pano.jpg CC BY-SA 3.0
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